Der wahre Nutzen der Telematik
1. Dezember 2020Dr. Marc Surminski |
Der deutsche Versicherungsmarkt tut sich schwer mit Telematik-Tarifen. In der Autoversicherung gibt es zwar mittlerweile einige Versicherer mit ansehnlichen Vertragszahlen, insgesamt ist die Entwicklung aber weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Erst in den nächsten Jahren dürfte die Sache richtig Fahrt aufnehmen, wenn es spürbare Bestandsbewegungen durch die Telematik-Angebote für attraktive Kunden gibt und diejenigen Versicherer unter Zugzwang geraten, die keine Telematik-Policen verkaufen.
In den übrigen Sparten ist bislang hierzulande im Wesentlichen nur die Generali mit ihren Vitality-Tarifen aktiv. Aber offenbar ist der Erfolg überschaubar, denn das Unternehmen veröffentlicht keine Zahlen. Es bleibt abzuwarten, ob die neue, innovative App der Generali zur Generierung von Gesundheitswerten über eine Gesichtsanalyse per Handy-Kamera der Idee neuen Schwung geben kann. Sie führt die Möglichkeiten zu Selbstüberwachung und gesundheitsbewusstem Verhalten jedenfalls auf eine neue Stufe. Auch in der PKV wird momentan wieder stärker über den Einsatz von Telematik diskutiert, nachdem sich die Politik hier inzwischen offen für innovative Lösungen gezeigt hat. Wer den Gesundheitszustand der Bevölkerung mit einer Corona-App möglichst flächendeckend kontrollieren will, kann gleichzeitig auch kaum den Versicherern verbieten, mit ähnlichen Lösungen etwas für die Gesundheit ihrer Kunden zu tun und das dann entsprechend zu belohnen, etwa durch Vorteile bei der Beitragsrückerstattung.
Aber eigentlich geht es bei Telematik generell weniger um die Neukalkulation des Risikos mit entsprechenden Abschlägen für Telematik-Nutzer, sondern um die Gewinnung und langfristige Bindung von Kunden, die ein gutes Risiko darstellen. Dieser Gedanke steckt im Kern des weltweiten Vitality-Programms des südafrikanischen Versicherers Discovery, das Generali für bestimmte europäische Märkte nutzt. Das Modell hat es geschafft, etwa in der Risikolebensversicherung über sein Bonusprogramm für gesundheitsbewusstes Verhalten die Zusammensetzung des Neugeschäfts so zu verändern, dass sich eine spürbare Verbesserung der Sterblichkeit ergibt. Das bringt die Chance, sich mit entsprechend günstigeren Tarifen vom Wettbewerb abzusetzen.
Wer – in welcher Form auch immer – gesundheitsbewusstes Verhalten oder vorsichtiges Autofahren belohnt, zieht gesündere Kunden und vorsichtigere Fahrer an. Die Belohnung muss dabei gar nicht unbedingt über Prämienersparnisse laufen: Vitality hat gezeigt, dass auch Gutscheine für Fitnessstudios oder andere Vergünstigungen die guten Kunden anlocken und sie über Jahre enger an den Versicherer binden – auch weil es eine regelmäßige Kommunikation gibt.
In Deutschland funktioniert das bislang noch nicht so überzeugend. Hier wäre es lohnend, gerade in Sparten wie PKV und Leben (vor allem BU) die attraktiven Kunden mit entsprechend attraktiven Leistungen zu gewinnen – und zwar auch ohne Prämienrabatte. Es ist erstaunlich, dass sich auch die Deutschen massenweise alle möglichen Apps für die Gesundheitsüberwachung oder die Verbesserung von Körperwerten für Sportler und Selbstoptimierer auf ihr Smartphone laden und sie kräftig nutzen, es den Versicherern aber nicht gelingt, mit ausgefeilten Telematik-Konzepten wirklich erfolgreich zu sein.
Die Versicherungswirtschaft tut sich insgesamt schwer, einen relevanten Platz in den digitalen Lebenswelten der Kunden von heute einzunehmen. Mit dem intelligenten Einsatz von Telematik-Instrumenten könnte ihr das besser gelingen. Sie schafft damit Mehrwert für die Kunden und zieht attraktive Zielgruppen an. Aber für den Erfolg sind hier wirklich gute Ideen gefragt. Wem die Kreativität fehlt, kann sich weltweit bei Insurtechs umschauen, um die Telematik-Chancen mit neuen Ansätzen zu nutzen.
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