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Die leidende Republik

15. März 2023

Dr. Marc Surminski |

Willkommen in der Blümchenrepublik Deutschland. Die großen Krisen der letzten Jahre drücken auf das Gemüt der Deutschen. Nach einer Umfrage der Axa gab kürzlich eine Mehrheit von über 75% der Menschen an, dass die steigenden Preise, der Krieg und der Zustand der Wirtschaft einen negativen Einfluss auf ihr emotionales Wohlbefinden hätten. (Corona, der große Stimmungskiller der letzten Jahre, ist offenbar schon abgehakt.)

Nach einer Umfrage des Insurtechs Clark haben 41% der Menschen hierzulande das Gefühl, dass Depressionen in der Gesellschaft spürbar zunehmen. Und nach den Zahlen der Axa bezeichnen sich 41% der jungen Frauen (Alter 18 bis 34) in Deutschland heute als psychisch erkrankt. Der feine Unterschied: Sie sind nicht krank im Sinne einer ärztlichen Diagnose, sondern sie empfinden sich als krank. Dazu passt die Erkenntnis der Axa, dass immer mehr Menschen ihre psychische Erkrankung selbst online diagnostizieren.

Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland mit dem empfundenen Leidensdruck eine Sonderstellung ein: Im Bundesdurchschnitt gibt rund jeder Dritte (32%) an, derzeit unter einer mentalen Erkrankung zu leiden. Im Vergleich mit den weiteren untersuchten Ländern aus Europa liegt Deutschland damit gemeinsam mit Großbritannien an der Spitze. Zum Vergleich: In Frankreich sind es nur 19%.

Jüngere Menschen nennen außerdem auch persönliche Faktoren wie das eigene Körperbild und gesellschaftliche Erwartungen als wichtige Einflussfaktoren auf ihre emotionale Verfassung. Deutlich mehr als die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen sagen ferner, dass die sozialen Medien und das „always on“ im Internet sie negativ beeinflussten. Dieser Druck ist häufig selbstgemacht – aber es scheint vielen jüngeren Menschen die Kraft zu fehlen, sich aus diesen Zwängen zu befreien.

Die Welt ist schlecht und das Leben ist meistens hart. Gerade die jüngeren Deutschen scheinen mit diesen Grundkonstanten der menschlichen Existenz nicht mehr klarzukommen. Sie fügen sich damit in das Gesamtbild eines immer noch extrem wohlhabenden Landes, in dem die Menschen sofort nach Hilfe rufen, wenn sich irgendetwas in ihrem Leben durch äußere Umstände zum Negativen zu verändern droht: finanzielle Unterstützung bei den höheren Energiepreisen, ein staatlicher Ausgleich für die Inflation, Prämien für den Umstieg auf umweltschonende Mobilität.

Nun ist es einfach, über die Schneeflöckchenmentalität vieler Deutschen zu spotten und die Zunahme der gefühlten Stimmungsverschlechterung kritisch als Modeerscheinung abzutun. Das Problem ist aber, dass sich gerade die Lebens- und Krankenversicherer in Zukunft mit einem stärkeren Anstieg von psychischen Erkrankungen konfrontiert sehen werden, der das bisherige, bereits hohe Maß noch deutlich übersteigen dürfte. Und bei den zum Teil diffusen Leidensbildern, die sich aus dem Komplex „gestörtes emotionales Wohlbefinden“ ergeben, ist die Frage der richtigen Diagnose und der daran anschließenden Leistungspflicht schwierig zu beantworten. Wer heute jungen Menschen eine BU-Deckung verkauft, wird die von der Mehrheit als schlecht empfundene emotionale Verfassung bei der Kalkulation berücksichtigen müssen, damit psychische Erkrankungen künftig überhaupt weiter abgesichert werden können.

Noch größer ist ein allgemeines gesellschaftliches Problem, das sich aus der gefühlten Stimmungsmisere so vieler Menschen ergibt: Die Therapieplätze sind schon heute knapp; wenn aber tatsächlich über 40% der Deutschen eine Therapie bräuchten, wäre das kaum mehr zu leisten. Der emotionale Leidensdruck, der in zugegebenermaßen immer unsichereren Zeiten die Menschen befällt, kann am Ende dafür sorgen, dass diejenigen Menschen, die wirklich ernsthaft psychisch erkrankt sind, keine Chance auf eine dringend nötige Behandlung haben.

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