Die Stunde der Vorzugsrente
1. Mai 2022Lebenslang garantierte Rentenzahlungen waren bislang eine Kernleistung der deutschen Lebensversicherer – und ihr Alleinstellungsmerkmal in der privaten Altersvorsorge. In letzter Zeit ist die private Rentenversicherung aber mit ihren Rentenleistungen in die Kritik der Verbraucherschützer geraten. Der Vorwurf: In das Produkt seien zu hohe Sicherheitspuffer eingerechnet, die eine private Rentenversicherung nur noch für Leute mit hoher Lebenserwartung attraktiv machten – in der Regel keine Niedrigverdiener.
Für Kunden, die etwa ihre ablaufenden Kapitallebensversicherungen in eine Rente umwandeln wollen, ergibt sich damit ein Problem: Nur als lebenslang gleichmäßig gezahlte Rente ist das Produkt steuerbegünstigt; damit kauft sich aber ein Kunde automatisch in das Risiko ein, womöglich nicht so lange zu leben, als dass eine Rentenzahlung für ihn überhaupt Sinn macht.
Eine einfache Lösung des Problems wäre die marktweite Einführung der Vorzugsrente, wie sie aus Großbritannien bekannt ist. Hierbei erhalten Kunden, die zu Rentenbeginn gesundheitlich angeschlagen sind, eine höhere monatliche Rente. Ihre geringere Lebenserwartung wird also in Form einer erhöhten Rentenzahlung berücksichtigt. In Großbritannien wurde das Produkt eingeführt, als die Regierung einen Verrentungszwang für das Kapital aus bestimmten geförderten Altersvorsorgeprodukten beschlossen hatte. Die Vorzugsrente ist eine faire, versicherungstechnisch sauber kalkulierte, marktwirtschaftliche Lösung für das Problem der künftigen Lebenserwartung. Wer etwa übergewichtig ist und an Bluthochdruck leidet, bekommt mehr Rente – weil er im Schnitt früher stirbt als ein gesunder Rentner. Über die entsprechenden Daten zur Lebenserwartung der Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen sind die unterschiedlichen Rentenhöhen gut zu kalkulieren.
Der Einsatz der Vorzugsrente würde die Kritik der Verbraucherschützer an der bisherigen Kalkulation der Renten entkräften und dabei gleichzeitig das zentrale Leistungsmerkmal der privaten Rentenversicherung erhalten. Die Kunden werden nach ihrem individuellen Gesundheitszustand behandelt, und auch für gesundheitlich angeschlagene Menschen ist es dann noch sinnvoll, eine lebenslange Rente abzuschließen, weil sie entsprechend höher ausfällt und kein gewaltiges Verlustgeschäft mehr für sie darstellt wie die herkömmlichen Rentenpolicen. Gerade für die staatlich geförderten Produkte wie Riester und Rürup mit ihrem Verrentungszwang ist die Vorzugsrente eine optimale Alternative. Sie könnte den Kunden die Scheu davor nehmen, sich beim Abschluss wie heute auf eine Wette über die eigene Lebenserwartung einzulassen.
Bis auf die LV1871 hat bislang kein deutscher Lebensversicherer die Vorzugsrente im Portfolio. Die Branche ließ damit die Chance verstreichen, vielen Kunden bei der Altersrente eine faire Lösung anzubieten und ihren Gesundheitszustand zu berücksichtigen. Künftig wird man sich nun mit den Reformplänen der Ampelkoalition auseinandersetzen müssen, bei denen es um Staatsfonds-Lösungen wie in Schweden geht, und bei denen von garantierten Rentenleistungen nach Art der Lebensversicherung nicht mehr die Rede ist. Um die Lebensversicherer hier im Spiel zu halten, wäre eine Vorzugsrente für den Umgang mit dem bei Rentenbeginn zur Verfügung stehenden Kapital aus der Aktienfondsanlage eine gute Möglichkeit, das Geld mit einem attraktiven Angebot wieder in die Sphäre der Lebensversicherer zu holen. Sie könnten damit eine lebenslang gesicherte Rente zu fairen Bedingungen anbieten – eine Leistung, die bei den sicherheitsorientierten Deutschen durchaus weiter geschätzt werden dürfte.
Kategorisiert in: 202209 Rentenversicherung Titelthema Wirtschaftskommentar