Ein neues Zeitalter der Kooperationen
1. März 2022Dr. Marc Surminski |
Viele Jahre lang machte jeder deutsche Versicherer mehr oder weniger alles selbst. Die Fertigungstiefe ist bis heute, verglichen mit anderen Branchen, extrem. Weil es der Versicherungswirtschaft über viele Jahrzehnte sehr gut ging, konnte sie sich das auch erlauben. Selbst viele kleinere Versicherer bieten bis heute alle Sparten aus eigener Kraft an; Unternehmen, die ihr Kerngeschäft eigentlich ganz woanders haben, leisten sich diverse Versicherungstöchter, um die gesamte Produktpalette abzudecken.
Schon vor Jahren riefen Unternehmensberater ein neues Zeitalter der Kooperation aus, und erwarteten, dass Versicherer in immer mehr Sparten zusammenarbeiten würden, um ihre Kraft dann ins Kerngeschäft zu investieren. Das ist kaum passiert. Fusionen und Übernahmen hat es natürlich reichlich gegeben, und der Markt konsolidiert sich weiter. Aber Kooperationen von Versicherern, etwa um bestimmte blinde Flecken in der Produktpalette abzudecken oder Randsparten von anderen Gesellschaften mit mehr Expertise betreiben zu lassen, blieben eher die Ausnahme.
Das ändert sich nun. Ein zentraler Grund ist die Digitalisierung: Der Aufwand, um hier den Anschluss an die Entwicklung nicht zu verlieren und das eigene Geschäft auf dem neusten Stand der Technik zu organisieren, ist groß. Immer mehr Gesellschaften wird klar, dass sie diesen Aufwand nicht mehr in jedem Geschäftsbereich stemmen können. Gerade kleinere und mittlere Versicherer müssen ihr Kerngeschäft so digital voranbringen, dass sie mit den Branchengrößen mithalten können, die zwar nicht immer die schlagkräftigsten Anbieter sind, aber meist genug Ressourcen haben, um digital stark aufzurüsten.
Hier kommen nun die Insurtechs ins Spiel. Nachdem lange Zeit nicht so richtig klar war, welche Rolle sie im deutschen Markt spielen werden, zeichnet sich jetzt eine besondere Entwicklung ab: Sie liefern den etablierten Versicherern moderne digitale Geschäftsmodelle für Sparten, die sie nicht mehr selbst bedienen wollen oder können. Ein gutes aktuelles Beispiel ist die Kooperation der Süddeutschen mit dem Insurtech Neodigital. Über die Markte SDK Neva bildet Neodigital künftig für den Traditionsversicherer das Kompositgeschäft ab, der damit auf ein modernes, durchdigitalisiertes Angebot für eine kleine Randsparte zurückgreifen kann.
Insurtechs geben auf diese Weise etablierten Versicherern die Chance, weiter alle Sparten abzudecken, ohne dafür große eigene Anstrengungen bei der Digitalisierung dieses Geschäfts unternehmen zu müssen. Und sie verschaffen ihnen dabei gleichzeitig auch Zugang zu hochmodernen Lösungen, die diese selbst mit ihrer IT nur schwer schaffen könnten. Damit sorgen Insurtechs dafür, dass sich kleine und mittlere deutsche Versicherer weiter gegen die großen Player mit ihren riesigen IT-Budgets behaupten können.
Und diese Kooperationen bringen noch einen anderen Pluspunkt: Sie holen die traditionellen Vorteile der kleinen Versicherer (wenig Hierarchie, direkte Wege zum Kunden) in das digitale Zeitalter, indem sie die Technik zur Verfügung stellen, damit diese Vorteile auch künftig bestehen bleiben. Und während große Konzerne gewaltige IT-Transformationsprogramme aufsetzen und manche seit Jahren vollauf mit komplizierten Fusionsprozessen beschäftigt sind, können kleinere Versicherer mit der richtigen Hilfe von Insurtechs tatsächlich so agieren, wie es viele immer für sich in Anspruch nehmen: Schnellboote zu sein im Meer der großen, unbeweglichen Assekuranz-Tanker.
Kategorisiert in: 202205 InsurTechs IT Titelthema Wirtschaftskommentar