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Eine neue Zeitrechnung

15. März 2022

Dr. Marc Surminski |

Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine beginnt auch für die deutschen Versicherer eine neue Zeitrechnung. Zwar dürften die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen des Krieges wegen ihres überschaubaren Engagements als Versicherer und Kapitalanleger in beiden Ländern für die Branche nicht allzu schwerwiegend sein. Aber der Angriff zerstört nicht nur auf brutale Weise den Glauben an einen scheinbar ewigen Frieden in Europa. Er hat auch drastische Konsequenzen für Wirtschaft und Politik insgesamt – und damit am Ende auch für die Versicherer.

Das Versicherungsgeschäft ist vor allem direkt durch die Frage betroffen, welche russischen Aktivitäten jetzt noch versichert werden können. Die Antwort dürfte lauten: Keine. Inwieweit das auch die zunächst noch weiterlaufenden Einfuhren von Öl und Gas betrifft, muss sich zeigen. Die Sanktionen bringen alle wirtschaftlichen Kontakte des Westens zu Russland zum Erliegen. Damit ist der Ukraine-Krieg ein ähnlich tiefer und abrupter Schnitt in das internationale Wirtschaftsgeflecht wie es auch der 1. Weltkrieg war.

Sollten im Gleichschritt mit den Angriffen der russischen Armee nun die Cyberangriffe russischer Hacker auf die europäische Wirtschaft zunehmen, käme der Krieg auch direkt über die Grenzen zu uns und zu den Cyberversicherern, wenn auch zum Glück nur in stark reduzierter Form. Die Debatte um die Anwendung der Kriegsausschlussklausel zeigt, welche Kreise der Angriff in dieser Sparte schon zieht.

Noch stärker treffen die Versicherer und ihre Kunden die Verwerfungen auf den Kapitalmärkten. Der scheinbar endlose Höhenflug der Aktienkurse dürfte zunächst ein mal zu Ende sein. Die Inflation wird – angefacht durch die extreme Verteuerung der Rohstoffe – zu einer gewaltigen Herausforderung für die Menschen. Die kollektive Erfahrung einer großen Krise reduziert die Bereitschaft, langfristig in Altersvorsorge zu investieren. Volatile Kapitalmärkte und einbrechende Börsenkurse stellen die gerade erst aufgebaute Zuneigung der Deutschen zu Aktieninvestments auf eine ernsthafte Probe. Und mit welchen Angeboten sollen die Lebensversicherer nun ihre Kunden überzeugen, wenn die Inflation immer höher steigt und die Aktienkurse noch weiter fallen?

Der zu erwartende Flüchtlingsstrom aus der Ukraine wird zu einer Herausforderung für die Sozialsysteme, die sowieso durch Corona und die großen demographischen Veränderungen ohne massive staatliche Unterstützung kaum mehr überlebensfähig wären. Die Gefahr nimmt zu, dass die Politik zu radikalen Lösungen greift, um etwa mit einer Bürgerversicherung für eine gewisse Zeit Handlungsspielraum zu gewinnen – auf Kosten der Zukunft. Es besteht außerdem die Gefahr, dass der Kampf gegen den Klimawandel angesichts der Ereignisse in der Ukraine in den Hintergrund gerät – mit dramatischen Folgen gerade für das Geschäftsmodell der von Extremwetterereignissen betroffenen Versicherungszweige.

Aber all diese direkten und indirekten Folgen für die Versicherungswirtschaft verblassen angesichts der Katastrophe, die sich gerade vor unseren Augen in der Ukraine abspielt. Das Grundvertrauen in Stabilität und politische Vernunft ist verlorengegangen. Das Leid der Menschen erschüttert uns auch deswegen, weil es die Erinnerung an deutsche Katastrophen des 20. Jahrhunderts bei vielen wieder lebendig werden lässt – und weil wir aus guten Gründen letztlich zum Nichtstun verurteilt sind. Wenn die Versicherer sich jetzt mit Hilfsaktionen und Spenden für die Ukrainer engagieren, ist das zwar angesichts der Kriegsverheerungen nur ein schwacher Trost. Aber es ist immer hin Trost in diesen dunklen Zeiten.

 

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