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Im Kern erschüttert

15. November 2019

Dr. Marc Surmsinki |

Der beschleunigte Zinsverfall erschüttert die deutsche Lebensversicherung im Kern. Sah es einige Zeit so aus, als ob das Schlimmste überstanden und mit der Reform des ZZR-Systems ein akzeptabler Weg für die zukünftige Bewältigung der Garantielasten gefunden sei, dann zeigt das Negativzinsszenario nun neue Abgründe. Da bringen auch die großzügigen Übergangsregelungen unter Solvency II nichts mehr: Wenn sich für die nächsten Jahre keine Verbesserung bei den Kapitalmarktzinsen abzeichnet, dann hilft es nicht, auf die allmähliche Bewältigung der Probleme im Laufe der Zeit zu setzen.

Was gestern noch unvorstellbar erschien, wird morgen Realität: Für die aktuelle Garantiezinsgeneration könnte es nach Ansicht der BaFin ohne eine Zinswende ab 2026 notwendig werden, Mittel in die ZZR einzustellen. Es zeigt sich, dass auch eine Zinsgarantie von 0,9% angesichts der tatsächlichen Entwicklung der Zinsen zu hoch war. Die Branche kämpft sein Jahren ein bitteres Rückzugsgefecht an der Zinsfront, ohne jedoch von ihrem zentralen Leistungsversprechen – der Garantie – lassen zu wollen. Auch eine über Jahrzehnte gewährte bloße Beitragsgarantie wird aber zur Last, wenn es auf Sicht keine Zinserträge für neue Anlagen mehr gibt, sondern stattdessen immer heftigere Negativzinsen. Wird der Höchstrechnungszins wie erwartet abgesenkt, ist bei Riester die Garantieleistung bedroht, und die Versicherer müssten gegenüber der Politik erklären, warum ihr Produkt nicht mehr funktioniert.

Vor diesem Hintergrund sollte man den aktuellen Neugeschäfts-Boom in der Lebensversicherung mit gemischten Gefühlen sehen: Zwar ist er insgesamt ein Beleg für das große Vertrauen, das die Kunden der Branche in diesen Zeiten entgegenbringen. Dieses Vertrauen beruht allerdings vor allem auf den Zahlen der Vergangenheit. Sie lassen die Renditen der meisten Versicherer auch heute noch gut aussehen, was zum Abschluss einer Police verlockt. Aber diese Zahlen werden mit dem Zinsverfall weiter bröckeln Und schlimmer noch: Wer heute viel Neugeschäft zu 0,9% Garantie hereinholt, wird 2026 dafür umso mehr nachreservieren müssen.

Kapitalstarke Versicherer wie die Allianz können sich weiter Garantien im Neugeschäft leisten, die sich die deutschen Kunden bis heute offenbar wünschen. Wer dagegen aktuell schon die Garantielasten der Vergangenheit nur mit Mühe stemmen kann, muss aus diesem Geschäft aussteigen. Schon heute sind Bilanzen mancherorts unter Druck: Risikogewinne fungieren als letzte Stütze; Reserven wurden weitgehend realisiert.

Das Dilemma der Branche: Weil sie jahrzehntelang am Garantiezins als dem zentralen Leistungsmerkmal festhielt, fällt ihr jetzt der Ausstieg so schwer. Vor einem radikalen Neuanfang, wie ihn die Debeka wagte, schrecken viele zurück. In England sind in der Altersvorsorge aus Lebensversicherern im Wesentlichen reine Investmentanbieter geworden – und gleichzeitig ist die Zahl der Marktteilnehmer drastisch geschrumpft. Dieser Weg könnte auch der deutschen Branche bevorstehen – wenn sie es nicht schafft, ihr kollektives Geschäftsmodell zu bewahren und fit für die Zukunft zu machen.

Unglücklicherweise muss sich die Branche zu einem Zeitpunkt neu erfinden, da die Politik ihre Rolle als zentraler Anbieter von Altersvorsorge in Frage stellt. Die verschiedenen aktuellen Konzepte für staatliches Zwangssparen über Investmentfonds zeugen auch vom Vertrauensverlust in die Lebensversicherung. Der Leistungsverfall der Lebensversicherung ist zwar eine direkte Folge der politisch gewollten Niedrigzinsen. Aber bei vielen Politikern verstärkt sich offenbar der Eindruck, dass für die Altersvorsorge künftig neue Wege beschritten werden müssen: keine Garantien mehr, stattdessen reine Fondsanlage. Die Lebensversicherer kämpfen damit an zwei Fronten ums Überleben. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass so etwas meistens nicht gut ausgeht.

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