Im Zeichen des Déjà-vu

Dr. Marc Surminski |

Es hat auch etwas Gutes, wenn die Politik wichtige Entscheidungen vor sich herschiebt: Dann hat es die Branche wenigstens mit bekannten politischen Problemen zu tun, die später einmal gelöst werden müssen. Auch 2024 dürfte daher wieder im Zeichen des Déjà-vu stehen: Keine Reformen in der Altersvorsorge, keine Reformen in Kranken und Pflege. Aus diesen Bereichen werden Kranken- und Lebensversicherer wenig Impulse der Politik zu erwarten haben – obwohl hier der Reformstau besonders groß ist. Die Neuaufstellung der geförderten Altersvorsorge dürfte erst für 2025 realistisch sein.

Den politischen Stillstand kann die Versicherungswirtschaft nutzen, um sich umso intensiver den anderen großen Themen zu widmen, die ebenfalls schon lange auf der Agenda stehen. Mühsam muss sie etwa den Umgang mit der Inflation erlernen, die vor allem im Kompositbereich wieder weit über der normalen Inflation liegen wird. Die BaFin hat gerade erneut darauf hingewiesen, dass die Preise und die Rückstellungen noch stärker steigen müssten, um einen Ausgleich zu schaffen. Aber gerade in umkämpften Sparten wie Kfz fällt es vielen Versicherern schwer, schmerzhafte Sanierungsschritte zu gehen. Ob die Weichen in der letzten Erneuerung richtig gestellt wurden, muss sich zeigen.

Die Rückkehr der Zinsen und der substantiellen Kapitalerträge mag dazu verlocken, das Thema Underwriting-Disziplin in anderem Licht zu sehen. 2024 werden die höheren Kapitalerträge wegen der nur langsam erfolgenden Umschichtung des Anlagebestandes noch keine entscheidende Rolle spielen. Für die Zukunft kann aber auch eine Combined Ratio von 100% wieder eine solide Geschäftsgrundlage bieten. Das ist ein Schritt zurück in die Normalität. Die besteht nun einmal darin, dass Kapitalergebnis und technisches Ergebnis beide die Basis des Versicherungsgeschäftes sind.

Die Digitalisierung ist ein Mega-Thema, das die Branche unabhängig von politischen Zumutungen seit vielen Jahren beschäftigt. Trotz aller gewaltigen Probleme mit der Alt-It und dem großen Aufwand, der für die digitale Transformation des Geschäfts weiter getrieben werden muss, hat die deutsche Versicherungswirtschaft ihren Job aber nicht so schlecht gemacht. Zumindest sind ihre Kunden nicht in Scharen zu den neuen digitalen Anbietern geflüchtet. Daher besteht die Hoffnung, dass auch 2024 Zeit bleibt, die Digitalisierungsrückstände aufzuholen, ohne von neuen Konkurrenten aus dem Markt gedrängt zu werden.

Deckung für Elementargefahren in Zeiten des Klimawandels, Versicherungslösungen für neue Risiken wie PFAs, aber auch für schwer zu fassende Risiken wie Cyber werden 2024 weiter große Themen für die Zukunftsaussichten der Versicherungswirtschaft sein. Hier stellt sich ganz unmittelbar die Frage, wie relevant sie künftig für die Kunden sein kann, wenn es für diese wichtigen Risiken keine guten Deckungslösungen gibt. Die Branche sollte die kommenden 12 Monate dazu nutzen, hierauf eine gute Antwort zu geben.