Keine Wachstumsperspektive
1. Februar 2024Dr. Marc Surminski |
Die Versicherungswirtschaft ist momentan eine Branche ohne Wachstumsperspektive. Zuwächse, so zeigen es die Branchenzahlen des GDV für 2023, kommen vor allem aus Preiserhöhungen. Das Neugeschäft ist in den meisten Sparten überschaubar. Änderungen sind nicht in Sicht, auch wenn der Bedarf etwa an zusätzlicher Altersvorsorge oder an Deckung gegen Elementarschäden eigentlich groß ist und das gigantische künftige Pflegerisiko bisher nicht annähernd in Neugeschäft umgewandelt werden konnte.
In Komposit haben 2023 vor allem die zum Teil kräftigen Anpassungen der Prämien an die Schadeninflation für ein auf den ersten Blick eindrucksvolles Beitragswachstum von 6,7% gesorgt. Aber die Anzahl der Verträge stieg nur um 2,8%. Der Markt erscheint weitgehend verteilt; die Erschließung von möglichen Wachstumsfeldern wie Cyber oder Elementargefahrendeckungen stößt auf Hindernisse – auch weil hier die Risikoszenarien in letzter Zeit deutlich bedrohlicher geworden sind.
In einer alternden Gesellschaft sollte eigentlich die Personenversicherung eine goldene Zukunft haben. In der Wirklichkeit ist davon wenig zu sehen. Die Krankenversicherer tun sich in der Vollversicherung seit langem schwer mit dem Wachstum. Auch 2023 war wieder ein Null-Jahr. Und in der Zusatzversicherung wurde mit einem Vertragsplus von 2,5% auch nicht gerade eine große Wachstumsstory geschrieben. Die absehbar größeren Lücken in der GKV-Deckung könnten der Branche hier künftig wieder mehr Auftrieb geben; aus eigener Kraft hat sie es aber auch im Bereich der zusätzlichen Deckung des Pflegerisikos jedenfalls nicht geschafft, das große Potenzial in Geschäft umzuwandeln.
In Leben ist der zinsbedingte Boom der Einmalbeiträge, mit der die Branche über viele Jahre lang stark wachsen konnte, nun weiter abgeflaut, obwohl die Einmalbeiträge im historischen Vergleich immer noch ziemlich hoch sind. Der fortgesetzte Einbruch im Einmalbeitragsgeschäft ließ die Beitragseinnahmen in Leben um 5,2% zurückgehen. Dadurch kam die Versicherungswirtschaft im vergangenen Jahr auch insgesamt nur auf ein zartes Beitragsplus von 0,6%. Die laufenden Neubeiträge in Leben legten nur verhalten zu. In der größten Sparte der deutschen Versicherungswirtschaft gab es keine Wachstumsimpulse; die aktuellen Rahmenbedingungen (Zinswende, unsichere politische Zukunft der geförderten Altersvorsorge) lassen auch für 2024 nicht auf eine deutliche Belebung schließen.
Die Lebensversicherung als wichtigste Form der privaten Vorsorge muss aufpassen, dass sie in Zukunft gegenüber der Investmentbranche beim Thema Sparen für das Alter nicht ins Hintertreffen gerät. Sollte künftig das von der Reform-Kommission der Bundesregierung favorisierte Fonds-Depot tatsächlich Wirklichkeit werden, wäre das eine realistische Möglichkeit. Das würde die Perspektiven der Versicherungswirtschaft für 2024 insgesamt noch weiter verdüstern.
Kategorisiert in: 202402 Titelthema Wirtschaftskommentar