Mehr Frauen in Führung
1. Juli 2023Dr. Marc Surminski |
Bei ihren Bemühungen, Frauen in Führungspositionen zu bringen, hat die deutsche Versicherungswirtschaft in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Aber der Nachholbedarf ist noch gewaltig. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen lag nach Zahlen des Arbeitgeberverbands Ende 2022 bei 31,1%. Im Jahr 2007 waren es nur 22,0%. Der Frauenanteil in den Vorständen ist in diesem Zeitraum sogar von 2,5% auf 15,6% gestiegen. Das sind ermutigende Zahlen aus einer Branche, die viele Jahrzehnte als sehr konservativ und wenig veränderungswillig galt. Angesichts eines Frauenanteils von 53,2% im Innendienst der deutschen Versicherer wird aber auch klar, wie lang der Weg zur Parität noch ist.
Was sollte geschehen, um rascher voranzukommen? Wäre eine gesetzliche Quote, wie sie für Aufsichtsräte von börsennotierten Aktiengesellschaften der deutschen Wirtschaft gilt, sinnvoll? Lange Zeit war die Einführung einer Quote bei erfolgreichen weiblichen Führungskräften in der Assekuranz eher verpönt. Sie wollten nicht als „Quotenfrauen“ gelten. Mittlerweile scheint sich die Einstellung aber zu wandeln. Ohne eine feste, womöglich auch nur vorübergehende Quote, so ist inzwischen von immer mehr Vorständinnen im persönlichen Gespräch zu hören, werde es nicht gehen, um die Führungsgremien wirklich für Frauen zu öffnen.
„Ich wünschte, dass wir es ohne gesetzlich vorgegebene Quote geschafft hätten. Das haben wir aber nicht. Deshalb halte ich die Idee einer Quote für richtig“, brachte diese Einstellung kürzlich Caroline Schlienkamp, Mitglied des Vorstands der Talanx AG, im Versicherungsmonitor auf den Punkt. Beim HDI soll daher künftig jede zweite freiwerdende Führungsposition mit einer Frau besetzt werden.
Egal, ob nun mit Quote oder ohne Quote: Der Frauenanteil wird sich in den nächsten Jahren in der deutschen Versicherungswirtschaft spürbar erhöhen – aus einem einfachen Grund. Die Branche kann es sich angesichts des Fachkräftemangels und des immer schärferen War for Talent schlicht nicht mehr leisten, in der Art und Weise auf die Talente und das Zukunftspotenzial von 50% der Menschen zu verzichten, wie sie es heute noch tut.
Bislang verhinderten auch strukturelle Gründe den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen. Hier hat eine neue Dynamik die Branche erfasst. Die Arbeitswelt verändert sich aktuell stark – nicht nur als Folge von Corona. Home-Office und flexiblere Arbeitsorganisationsmodelle mit der Abkehr von der lange Jahre dominierenden Präsenzkultur sorgen dafür, dass es prinzipiell leichter wird, die Bereiche Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Weil die Versicherungswirtschaft mit anderen Branchen um gute Nachwuchskräfte konkurriert, muss sie auch auf die Wünsche potentieller Kandidatinnen besser eingehen und ihnen ermöglichen, die Arbeit anders zu organisieren als früher. Elternzeit darf zum Beispiel nicht zu einem Karriereknick werden. Heute nimmt die frischberufene Vertriebsvorständin eines mittelständischen Versicherers erst einmal ein Dreivierteljahr Elternzeit – vor einigen Jahren vollkommen undenkbar.
Weil sich die Rahmenbedingungen ändern, werden wir in den nächsten Jahren deutlich mehr Frauen in Führungsverantwortung auf allen Ebenen sehen – auch ganz oben in den Vorständen. Von denen sind etliche bis heute noch frauenlose Zonen. Ein Drittel aller deutschen Versicherer hat keine Frau im Vorstand. Dies freiwillig auch ohne Quote zu ändern, sollte im Interesse aller Unternehmen liegen, die den Anschluss an die Zukunft nicht verlieren wollen. Nur darauf zu warten, dass die Frauen in einer veränderten Arbeitswelt ihren Weg nach oben schon selbst finden werden, kann sich heute niemand mehr leisten.
Kategorisiert in: 202313 Titelthema Wirtschaftskommentar