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Nachhaltigkeitsregulatorik

1. Februar 2023

Dr. Marc Surminski |

Nachhaltigkeitsregulatorik – dieses schöne neue deutsche Wort zeigt an, was momentan Versicherer und Vermittler herausfordert. Das große politische Thema, den Klimawandel zu stoppen und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, ist mittlerweile in den Mühlen der Aufsichtspolitik angekommen. Um die Ziele zu erreichen, rollt vor allem aus Brüssel eine gewaltige Welle von Regulierungsmaßnahmen. Diese müssen jetzt in die Praxis umgesetzt werden – eine Herkulesaufgabe für Versicherer und Vermittler.

So werden Bilanzierung und Berichtswesen künftig ganz wesentlich vom Umgang mit ESG-Kriterien geprägt sein. Der European Sustainable Reporting Standard (ESRS) verlangt umfangreiche Nachhaltigkeits-Informationen in der Berichterstattung. Marktbasierte Berichtsstandards wie IFRS und Solvency II sind davon unmittelbar betroffen, und auch unter HGB wird man nicht daran vorbeikommen, verstärkt Nachhaltigkeitsrisiken zu berücksichtigen. Dabei ist die Datenlage noch ziemlich unübersichtlich, und etablierte Standards zur Bewertung von ESG-Themen gibt es bislang kaum.

Beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten ist der regulatorische Eifer besonders schmerzhaft zu spüren. Zeitlich nicht aufeinander abgestimmte Vorgaben wie Delegierte Verordnungen und wiederholt korrigierte Technische Regulierungsstandards machen Versicherern und Vermittlern das Leben schwer und bringen reichlich Frustration in einen Bereich, der doch eigentlich mit dem „Green Deal“ der EU für Aufbruchsstimmung sorgen sollte. Wenn Vermittler aber eine „Erklärung über die Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Versicherungsberatung“ gegenüber ihren Kunden abgeben müssen, dann kann man erkennen, welche Blüten die bürokratische Regulierung mittlerweile treibt.

Dabei ist vielen Versicherern und Vermittlern längst durchaus klar, welche wichtige Rolle sie beim Thema Nachhaltigkeit spielen können und welche Chance es für sie bedeutet, sich als Pioniere im Markt zu profilieren. Aber die komplexe, zum Teil unvollständige Regulatorik hat zur Folge, dass die meisten Vermittler die seit August 2022 geltenden Beratungspflichten für Versicherungsanlageprodukte bisher schlicht ignorieren – meist aus Angst, später wegen angeblicher Fehler in Haftung genommen zu werden.

Aktuell profitieren von der übergroßen Regulierungsfreudigkeit weniger die Kunden oder die Umwelt, sondern eher Rechtsanwälte, Beratungshäuser und Analysten, für die das Nachhaltigkeitsthema geradezu ein Beschäftigungsprogramm bedeutet. Und es besteht die Gefahr, dass etwa die umfangreichen Offenlegungspflichten manchen kleineren Versicherungsmakler künftig aus dem Markt drängen werden, denn nur große Vertriebsgesellschaften und die Ausschließlichkeit der Versicherer können diese Anforderungen am Ende überhaupt vernünftig bewältigen. Die Beschränkung auf klare, einfache Regeln, die nicht jedes Detail vorgeben, wäre der bessere Weg gewesen. Die Chance hat Brüssel mit seinem bürokratischen Übereifer vertan.

Dabei stellt sich auch noch eine grundsätzliche politische Frage: Ist es sinnvoll, den Umbau unserer Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit über den Umweg einer Regulierung der Finanzwirtschaft zu verfolgen, die dann die Realwirtschaft mit ihren Vorgaben bei der Finanzierung und Versicherung in die gewünschten Bahnen lenkt? Wenn der Staat will, dass sich Unternehmen und Bürger entsprechend verhalten, kann er auch direkte Vorgaben machen – etwa über den CO2-Verbrauch oder die Frauenquote. Die Verantwortung für die Umsetzung der Nachhaltigkeitspläne über ein komplexes regulatorisches System an die Wirtschaft abzugeben, ist keine gute Lösung. Das werden nun Versicherer und Vermittler über etliche Jahre zu spüren bekommen.

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