Neue Realitäten in der Altersvorsorge
15. Oktober 2020Dr. Marc Surminski |
Es ist eine Zeitenwende für den deutschen Versicherungsmarkt: Mit dem Rückzug der Allianz Leben aus der vollen Beitragsgarantie besiegelt der Marktführer das endgültige Aus für die traditionelle Form der Lebensversicherung. Eine zukunftsfähige Altersvorsorge in der Null- oder gar Negativzinsphase, so die Botschaft, kann nicht mehr auf sichere Zinserträge setzen und keine Beitragsgarantien mehr bieten. (Von Garantiezinsen ganz zu schweigen).
Nach jahrelanger Diskussion um die Zukunft der Lebensversicherung vor dem Hintergrund des kontinuierlichen Zinsverfalls ist nun der Paradigmenwechsel tatsächlich da: Die Branche befreit sich aus der Garantiefalle. Das ist kein geringer Schritt, denn jahrzehntelang war die garantierte Verzinsung ein zentrales Verkaufsargument für die Lebensversicherung. Deutschland hinkt dabei Märkten wie England über 20 Jahre hinterher, die sich frühzeitig von dem alten Geschäftsmodell der Garantien gelöst haben. Hierzulande klammerte man sich an den Garantizins, bis es keinen Zins mehr gab. Damit war man bei den Kunden allerdings sehr erfolgreich: Das enorme Neugeschäft der letzten Jahre zeigt, wie groß das Bedürfnis der deutschen Kunden nach sicheren Erträgen war.
Jetzt heißt die neue Realität: Die Kunden können in der Altersvorsorge mit den auf 60% oder 80% reduzierten Garantien künftig auch Geld verlieren. Aber gleichzeitig bieten sich ihnen nur so überhaupt Chancen auf die nötigen Erträge. (Und den Versicherern bieten sie erhebliche Erleichterungen bei den Kapitalanforderungen für die Altersvorsorge unter Solvency II).
Das Ende der traditionellen Garantien ist vom Zinsverfall und den hohen Kapitalkosten diktiert; es hat aber auch gleichzeitig den Charme, dass sich die Versicherer der Kostendebatte entziehen können. Schon ein Beitragserhalt ist bei den aktuellen Kostensätzen und den aktuellen Erträgen der Kapitalanlagen häufig kaum mehr darstellbar. Jetzt kann man den Kunden mit mehr Freiheit bei den Garantien neue Renditeperspektiven bieten, muss aber dafür nicht die Kosten substantiell absenken.
Wie es anders gehen kann, führt aktuell ebenfalls die Allianz vor: Über ihre neue Tochter Allvest bietet sie ein investmentorientiertes Vorsorgeprodukt mit flexiblen endfälligen Garantien, das nur direkt online verkauft wird und mit niedrigen Kosten kalkuliert ist. Die Gesamtkostenbelastung liegt um die 1% – und damit bemerkenswerterweise schon auf der Linie, die das neue europäische Vorsorgeprodukt PEPP vorgibt. Angesichts der politischen Diskussion um die Zukunft auch der geförderten Altersvorsorge hat der Marktführer also schon ein Produkt im Angebot, das den Forderungen nach einer kostengünstigen Vorsorge mit starken Investmentkomponenten entspricht.
Und bei diesem Produkt, das mit endfälligen Garantien arbeitet und das Sicherungsvermögen der Allianz Leben nutzt, bietet der Marktführer auf Wunsch auch noch eine 100%ige Beitragsgarantie an. Wenn die Kosten niedrig sind (auch weil der Vertrieb außen vor bleibt) und es nur endfällige Garantien gibt, kann man also weiter Produkte verkaufen, die dem traditionellen Sicherheitsbedürfnis der Deutschen nach Beitragserhalt entsprechen und trotzdem noch höhere Renditechancen ermöglichen. Die Revolution im deutschen Altersvorsorgemarkt hat gerade erst richtig begonnen – und auch ohne drastische politische Vorgaben könnte man die Branche und ihre Vertriebsstrukturen in einigen Jahren nicht mehr wiedererkennen.
Kategorisiert in: 202020 Titelthema Wirtschaftskommentar