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Pflicht oder nicht?

3. August 2021

Dr. Marc Surminski |

Es ist eine Zombie-Debatte: Nach jeder großen Flutkatastrophe beschwört man hierzulande wieder den Geist der Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Reflexartig werden dann die lang bekannten Argumente von Befürwortern und Gegnern ausgetauscht, und es passiert – nichts. Diesmal könnte das anders sein: Die Schäden in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz übersteigen alle bisherigen Erfahrungen, die hohe Zahl der Opfer ist ein Schock für das sicherheitsfixierte Deutschland, in dem so etwas nicht möglich schien. Außerdem spielt diesmal der Klimawandel eine ganz andere Rolle als bei den bisherigen Flutkatastrophen: Mittlerweile ist allgemein anerkannt, dass es immer extremere Regenfälle geben wird, auf die man reagieren muss.

Statt sich in grundlegenden Debatten um die Befugnisse des Staates und die Grundrechte des Einzelnen festzubeißen wie in früheren Jahren, sollte Deutschland besser einen Blick über die Grenzen werfen. In vielen Ländern hat man längst erkannt, dass derartige Elementarereignisse nicht mehr rein privatwirtschaftlich zu decken sind, sondern nur in Verbindung mit staatlicher Hilfe: Etwa über Poollösungen wie in Großbritannien, wo der Staat im Ernstfall die Leistungsspitzen übernimmt, oder über eine verpflichtende Zusatzdeckung für Hausbesitzer wie in Frankreich, bei der Großschäden von einer staatlichen Rückversicherung aufgefangen werden. Wenn wir in Deutschland die Hilfe im Katastrophenfall nicht immer wieder wahlkämpfenden Politikern überlassen wollen, brauchen auch wir eine intelligente Lösung, um die steigenden Flutrisiken zu kollektivieren und bei der Schadenregulierung die Versicherer im Boot zu haben.

Pflicht oder nicht? Anders als in früheren Jahren sind die Versicherer dabei, ihre bislang strikt ablehnende Haltung zu revidieren – weil sie diesmal in größeren Dimensionen denken. Eine Pflichtlösung sei dann vorstellbar, wenn sie Teil eines Gesamtkonzeptes für den Kampf gegen die Folgen des Klimawandels wird – so hat es der GDV formuliert. Damit ist die Tür geöffnet für ein vernünftiges Pflichtversicherungskonzept: Etwa mit einer staatlichen Rückversicherungslösung für Großschäden und mit wirkungsvollen politischen Vorgaben für die Bautätigkeiten in Risikogebieten und verpflichtenden Maßnahmen zur Risikoverminderung.

Eine Pflichtlösung haben die Versicherer bislang auch deswegen abgelehnt, weil sie dadurch in einem Kerngeschäftsfeld an das Gängelband des Staates genommen werden. Aber diesen Preis wird die Branche zahlen müssen, wenn sie weiter ihre angestammte Rolle des Absicherers elementarer Lebensrisiken spielen will. Es gehört nicht viel Phantasie dazu sich vorzustellen, dass nach den Milliardenschäden der Flutkatastrophe viele Verträge in den Risikogebieten gekündigt oder nur zu stark erhöhten Prämien weitergeführt werden – ein Image-GAU für die Versicherer droht.

Eine klug gestaltete Pflichtversicherung könnte auch anderen Vorbehalten der Ver-sicherer Rechnung tragen: So wären entsprechende Selbstbehalte und Schadenverhütungsobliegenheiten denkbar, die alle Kunden zu verstärkten Präventionsmaßnahmen animieren. Außerdem könnte es auch in einem Pflichtversicherungsmodell eine nach dem Risiko gestaffelte Prämie geben: Wer ein höheres Risiko hat, zahlt mehr, aber seine Deckung bleibt eben bezahlbar, weil Millionen andere Menschen auch in dieses Kollektiv einzahlen.

Das Schockerlebnis der Flutkatastrophe und die anstehende Bundestagswahl sollten die Versicherer nutzen, um die wahlkämpfenden Politiker auf ein Gesamtkonzept für den künftigen Umgang mit Elementarschäden zu verpflichten. Und in diesem Konzept können die Versicherer ihre Risikoexpertise und ihre Fähigkeiten zur effizienten Schadenregulierung einbringen, um beim Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels künftig eine führende Rolle zu spielen.

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