Renaissance der Klassik?
4. Juli 2022Dr. Marc Surminski |
Die Zinsen sind zurück – kommen jetzt auch klassische Tarife mit Zinsgarantien zurück? Jahrzehntelang war die garantierte Verzinsung das zentrale Verkaufsargument der deutschen Lebensversicherer. Mit dem Verschwinden der Zinsen verschwanden auch Tarife mit klassischen Garantiezinsen zunehmend aus dem Markt. Selbst eine reine Beitragsgarantie ließ sich immer schwerer darstellen, und bei vielen Lebensversicherern wurde 80 das neue 100 – beim Umfang der Beitragsgarantie in Prozent. Niedrigere Garantien schaffen mehr Freiräume bei der Kapitalanlage – so lautete die neue Verkaufsgeschichte, mit der man den sicherheitsorientierten deutschen Kunden die neue Produktwelt schmackhaft machen wollte.
Wenn es nach einem beispiellosen Zinsverfall nun langfristig wieder höhere Zinsen geben und die Anomalie der letzten Jahre vorbei sein sollte, stellt sich die Frage, ob die Lebensversicherer ihre alte Erfolgsgeschichte mit den „sicheren“ Garantizinsen nicht wiederbeleben könnten. Manche Gesellschaften, die lange auf die Klassik gesetzt hatten, denken heute bereits wieder darüber nach, ob sie neue Klassikprodukte auflegen sollen. Hier stellt sich natürlich die Frage, wie schnell die Zinswende sich auf den Deckungsstock überhaupt auswirken kann. Die meisten Lebensversicherer haben sich in den letzten Jahren notgedrungen mit niedrig verzinsten Anlagen vollgesogen, um angesichts der drohenden Negativzinsen überhaupt noch Erträge generieren zu können. Jetzt entstehen hier hohe stille Lasten, und die Renditen sind schwach. Im Vorteil sind Neugründungen wie etwa die Signal Iduna Leben AG, die jetzt das Geld ihrer neuen Kunden in die wieder höher verzinsten Papiere investieren kann, wodurch die steigenden Renditen sofort spürbar werden. So wäre eine Rückkehr zur Klassik leichter darstellbar.
Ob die deutschen Lebensversicherer nach den traumatischen Erfahrungen mit den Zinsgarantien der Vergangenheit, die zur einer existentiellen Belastung für die Branche wurden, aber tatsächlich wieder in größerem Umfang klassische Produkte anbieten werden, muss sich zeigen. Die Lebensversicherer bekämen damit zwar ihr Alleinstellungsmerkmal in der Altersvorsorge zurück. Allerdings spricht die momentan hohe Inflation gegen eine baldige Renaissance der Klassik. Zwar lag auch in früheren Zeiten die Rendite der Lebensversicherer gelegentlich unter der Inflationsrate, was die deutschen Kunden damals nicht daran gehindert hat, in großem Umfang kapitalbildende Lebensversicherungen zu kaufen. Aktuell sind die Schockerfahrungen der Inflation aber zu heftig für Menschen, die seit gut zwei Jahrzehnten eigentlich keine Erfahrungen mit einer substantiellen Geldentwertung machen mussten. Und der Unterschied zwischen den Zinsen und der Inflation ist aktuell zudem viel zu hoch: Eine wieder denkbare Zinsgarantie von beispielsweise 2% wäre angesichts einer Inflationsrate von 8% wenig attraktiv.
Wenn sich die momentan vor allem durch die explodierenden Energiepreise getriebene Inflation aber auf einem niedrigeren Niveau einpendeln sollte, wozu auch die zu erwartenden weiteren Zinserhöhungen der Zentralbanken beitragen werden, und wir zu einer „normalen“ Welt von Zins und Inflation zurückkehren, dann könnten auch klassische Lebensversicherungen mit garantierten Zinsen wieder ein Comeback erleben. Soweit sind wir allerdings heute noch nicht.
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