Revolution in der Altersvorsorge?
1. September 2022Dr. Marc Surminski |
Kommt jetzt doch Bewegung in die Reform der privaten Altersvorsorge? Die Bundesregierung ist offenbar momentan mit anderen dringlichen politischen Herausforderungen vollauf beschäftigt und hat keine Zeit, sich Gedanken um eine Neuaufstellung der Altersvorsorge zu machen. Aber nun legte der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium ein Gutachten zu künftigen Rentenplänen der Bundesregierung vor. Würden diese Vorschläge umgesetzt, käme das einer Revolution in der Altersvorsorge gleich – und die Lebensversicherer müssten sich auf radikale Veränderungen einstellen.
Die Wissenschaftler sprechen sich für ein verpflichtendes Aktienfondsmodell nach schwedischem Vorbild aus, bei dem sowohl der Staat als auch Privatunternehmen Produkte anbieten können. Das bedeutet: Die Rolle des Vertriebs, bislang bei der Verbreitung der privaten Altersvorsorge von zentraler Bedeutung, wird deutlich reduziert. Ihm bleibt dann nur noch, die Kunden von den Vorzügen privater Lösungen zu überzeugen. Aus Schweden weiß man, dass dies schwierig wird, wenn die staatliche Lösung kostengünstig und renditestark ist.
Eine Pflichtlösung würde den alten Riester-Fehler beseitigen: Zwar haben die Lebensversicherer und ihre Vertriebe eine bemerkenswerte Abdeckung erreicht, aber die Mehrheit der Deutschen wurde eben nicht gewonnen. Und ein Pflichtprodukt kann mit niedrigen Kosten kalkulieren – Vorwürfe, dass hohe Abschluss- und Verwaltungskosten den Nutzen privater Vorsorge schmälerten, griffen dann nicht mehr.
Sollen sich die deutschen Lebensversicherer auf ein solches Produkt einlassen, auch wenn es gegen die Interessen vieler Vermittler ist? Die Antwort kann nur lauten: auf jeden Fall. Denn ansonsten würden sie im zukunftsträchtigen Feld der geförderten Vorsorge keine Rolle mehr spielen. Die Wissenschaftler sprechen sich dafür aus, die neue Fondssparlösung mit Milliardensummen aus dem Bundeshaushalt vorzufinanzieren, damit sie schnell die nötige Durchschlagskraft erreicht. Hier winkt ein gewaltiges Geschäftsvolumen – und die Versicherer könnten daran partizipieren, wenn sie selbst ein kostengünstiges Standardprodukt entwickeln und den Beweis antreten, dass auch sie im Investmentbereich konkurrenzfähig sind.
Außerdem haben die Wissenschaftler dafür gesorgt, dass die Versicherer bei dem neuen geförderten Altersvorsorgeprodukt eine zentrale Rolle spielen können: Die Leistungen sollen in Form von Renten an die pflichtversicherten Kunden fließen. Lebenslange Renten sind das Kerngeschäft der Lebensversicherer. Ihre Expertise wird gebraucht, um am Ende für eine vernünftige Verrentung zu sorgen.
Bislang gibt es kaum Reaktionen der Politik auf den Vorschlag. Der Beirat aus renommierten Ökonomen dürfte dabei aber durchaus das Ohr des Finanzministers haben, zumal sich die FDP ja für eine aktienbasierte Zusatzrente ausgesprochen hat. Und auch für die Grünen hat bei der Altersvorsorge der Blick nach Schweden einen besonderen Reiz, wie sie im Wahlkampf deutlich machten. Wenn die Pläne konkreter werden, sollten sich die Lebensversicherer dem Modell nicht verschließen und mit einem eigenen Produkt in den Wettbewerb um die Zukunft der Altersvorsorge einsteigen. Pläne für neue Angebote liegen schon in der Schublade. Jetzt muss man den Zeitpunkt abwarten, an dem sie veröffentlicht werden sollen, damit die Branche ihre Vormachtstellung in der Altersvorsorge verteidigen kann.
Kategorisiert in: 202217 Altersvorsorge Lebensversicherung Titelthema Wirtschaftskommentar