
Wie groß ist der Run-off-Druck?
1. April 2025Dr. Marc Surminski |
Es ist eine erstaunliche Kehrtwende: Vor einigen Jahren war ein Lebensversicherungsaltbestand etwas, von dem man sich als Versicherer aus Kapitalgründen besser trennen sollte. Heute gelten Altbestände plötzlich bei Allianz und Co. als attraktives Investment. Dabei geht es den Käufern vor allem um die Kapitalanlagen der Bestände, deren Verwaltung nun als gute Ertragsquelle für Versicherer und Investmentgesellschaften gesehen wird. Das war für Allianz, BlackRock und den japanischen Lebensversicherer T&D-Holdings das Hauptmotiv für die gemeinsame Übernahme des größten deutschen Run-Off-Unternehmens Viridium.
Bringt die neue Eigentümerstruktur bei Viridium (die Minderheitseigner Generali und Hannover Rück bleiben auch an Bord) nun den vielbeschworenen großen Durchbruch für das Geschäftsmodell Run-off? Die kritische Haltung der BaFin gegenüber dem bisherigen Eigentümer Cinven und die Frage, ob Private Equity-Investoren womöglich grundsätzlich nicht zur langfristig orientierten Lebensversicherung passen, hatte den externen Run-off in Deutschland zuletzt austrocknen lassen. Eine diversifizierte Eigentümerstruktur wie jetzt bei Viridium mit ersten Finanzadressen auch aus der Versicherungswirtschaft wird bei der Aufsicht mehr Offenheit gegenüber weiteren Run-off-Deals schaffen. Allerdings dürfte es etliche deutsche Lebensversicherer geben, die es nicht gern sehen, dass ihr Altgeschäft zu einem Unternehmen geht, an dem ausgerechnet der dominante Marktführer Allianz 26% hält.
Die entscheidende Frage ist, wie groß der Druck zur Bestandsabgabe im deutschen Lebensversicherungsmarkt tatsächlich ist. Berater und Run-off-Betreiber trommeln seit Jahren mit wechselnden Begründungen für die externe Abwicklung. Momentan sind die Mühen und Kosten der IT-Transformation in den Altbeständen das zentrale Argument, nachdem die Last der Altgarantien ihren Schrecken verloren hat.
Klar ist, dass in Leben eine Marktkonsolidierung läuft. Sie hat sich im letzten Jahr beschleunigt – allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen. Im Markt – das zeigt die aktuelle Neugeschäftsumfrage der Zeitschrift für Versicherungswesen in diesem Heft – gibt es noch manche Lebensversicherer, die klein sind und nur sehr begrenzt Neugeschäft schreiben. Das wirft die Frage nach ihrer Zukunftsfähigkeit auf, nicht zuletzt, wenn sie zu Unternehmen gehören, die in Kranken oder Komposit ihren Schwerpunkt haben.
Trotzdem ist Run-off kein Automatismus. Eine Entwicklung wie in Großbritannien, wo sehr viele traditionsreiche Anbieter ihren Bestand abgegeben haben und der Markt jetzt eigentlich nur noch von einer Handvoll größerer Investmentspezialisten beherrscht wird, ist eher unwahrscheinlich. Es gibt schon noch etliche kleinere und mittlere deutsche Lebensversicherer, die ihr Geschäft beherrschen, einigermaßen kostengünstig arbeiten und deren IT nicht in so schlechtem Zustand ist, dass die künftige Existenz in Frage steht. Und die Rolle der Lebensversicherung im Kostengefüge einer Versicherungsgruppe sollte man auch in Zukunft nicht unterschätzen.
Spannend könnte es werden, falls die Zinsen im Zuge der geopolitischen Verwerfungen und der neuen deutschen Schuldenorgie kräftig anziehen sollten. Dann müssten viele Lebensversicherer mit erneut steigenden stillen Lasten umgehen. Sie wären gefangen in ihren niedrigverzinsten Altanlagen und hätte kaum Aussicht auf konkurrenzfähige Renditen für die Kunden. Beim einem starken Anstieg des Stornos könnten sie in Not geraten. Aber ob Run-off-Spezialisten gern Bestände mit hohen stillen Lasten übernehmen würden, müsste sich dann erst zeigen. Außerdem stellt sich hier die Frage, ob es gut für das Kollektiv eines Run-off-Bestandes wäre, wenn schwächelnde Lebensversicherer mit hohem Abschreibungsbedarf dazugekauft werden.
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