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Wie relevant bleibt die Versicherungswirtschaft?

15. September 2023

Dr. Marc Surminski |

Es gibt keinen heißen Herbst für die Erneuerungen in der Industrie- und Rückversicherung. Eiskalt können die Versicherer auf die hohe, von der Inflation zusätzlich vergrößerte Schadenlast verweisen und Preise weiter anpassen oder zumindest auf hohem Niveau halten. Die rituellen Kämpfe um die Deutungshoheit zur Marktentwicklung werden in diesem Jahr eindeutig von der Versichererseite dominiert, die im breiten, gemischten Chor aus Erst- und Rückversicherern viele Gründe aufzählen kann, warum der Markt weiter hart bleiben wird.

Die Kunden aus der Industrie wissen mehrheitlich, dass Widerstand in dieser Marktphase zwecklos ist. Die Kunden haben viele Jahre vom weichen Markt profitiert, und irgendwann ist eben Pay-Back-Time. Der Zyklus lebt. Und wer heute kritisiert, dass Industriekunden die Privatkunden subventionieren, sollte daran denken, dass es in früheren Zeiten auch durchaus schon einmal umgekehrt war, und etwa die Privathaftpflicht bis heute die Haftpflichtsparte insgesamt stützt. Fragen sollte man die Versicherer allerdings, welche entlastende Wirkung mittlerweile die höheren Kapitalmarktzinsen für die Ertragslage haben. Sie nehmen durchaus Druck von der Kalkulation. Nun will und kann momentan niemand zurück zum Cash-Flow-Underwriting früherer Zeiten. Aber steigende Kapitalerträge und ein hohes Preisniveau legen heute schon den Grund für die nächste Weichmarktphase.

Über die rituellen Schaukämpfe um das Preisniveau hinaus geht allerdings eine andere Frage, die sich momentan viele Kunden im Markt stellen. Wie relevant bleibt die Assekuranz noch für die Wirtschaft, wenn es für manche neueren Risiken keine oder nur unzureichende Deckung gibt? Durch die rückläufigen Kapazitäten in Cyber fühlten sich viele Kunden bei diesem immer existentielleren Risiko im Stich gelassen; die Gründung der unternehmensübergreifenden Captive Miris war ein deutliches Zeichen an die Versicherer.

Auch bei der Diskussion um die Versicherbarkeit von PFAS-Chemikalien, wegen ihrer Langlebigkeit auch Ewigkeitschemikalien genannt, geht es um die Relevanz der Versicherungswirtschaft beim Umgang mit neuen Risiken. Bitter wurde jetzt beim Symposium der GVNW Klage darüber geführt, dass die Erstversicherer – meist auf Druck ihrer Rückversicherer – die Deckung für diese Stoffe pauschal vom Haftpflichtversicherungsschutz ausschlössen. Sie werden aufgrund eines befürchteten unkalkulierbaren Kumulrisikos als das neue Asbest gehandelt. Die Versicherer verweigern Deckung, weil sie nicht in ein neues, milliardenteures Haftpflichtszenario geraten wollen, das den Ruin der Branche bedeuten könnte. Sie argumentieren, dass erst mehr Wissen über die Risiken dieser sehr heterogenen Chemikalien die künftige Versicherbarkeit ermöglichen könne. Auch die Industrie wünscht sich einen differenzierten Umgang mit den PFAS, weil die Stoffe, die etwa in Windrädern und Wärmepumpen eine große Rolle spielen, ganz unterschiedliche Risiken mit sich brächten und viele ungefährlich seien.

Es ist wichtig, dass die Industrie die Versicherer zu einem tieferen Verständnis der Probleme und zu einem individuelleren Umgang mit den einzelnen Stoffen drängt. Die Versicherer dürfen sich nicht vor ihrer Verantwortung bei der Übernahme neuer Risiken wegducken. Sonst wird ihre Relevanz für die Wirtschaft weiter unterminiert. Unternehmergeist bedeutet immer auch, sich auf neues Terrain zu wagen. Mit fundierter Bedenkenträgerei wurde noch keine Erfolgsgeschichte geschrieben. Aber es wird sicherlich dauern, bis die Branche zu einer belastbaren Risikoeinschätzung gekommen ist. Die Zeit wird man ihr geben müssen, denn eine neue große Haftungskatastrophe wie Asbest wäre für den gesamten Markt der Super-GAU.

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