Wohin mit dem Geld?
1. August 2019Dr. Marc Surminski |
Der Anlagenotstand treibt immer seltsamere Blüten. Versicherer versuchen, ein wenig Extra-Rendite durch das Investment in Infrastruktur und Wasserversorger zu erwirtschaften. Pensionsfonds versuchen, mit Investments in die Verbriefung von Katastrophengefahren und – ganz neu – auch Cyberrisiken mehr Rendite zu erzielen. Das Kapital, das reichlich in diese Märkte strömt, lässt die Ertragschancen aber schnell schrumpfen und kann das Entstehen neuer Versicherungssparten wie Cyber im Keim ersticken.
Weltweit verharren die Börsen auf Höchstständen oder legen sogar noch zu wie in den USA, obwohl in der Weltwirtschaft viele Zeichen auf schweres Wetter hindeuten. Die fehlende Zins-Alternative lässt das Geld in Aktien fließen, egal wie stark sich die politische Lage eintrübt. Ähnlich ist die Situation auf dem deutschen Immobilienmarkt: Die Meisten wissen, dass die Preise mittlerweile vollkommen irreal sind – aber es wird weiter investiert, weil man nicht weiß, was man sonst mit dem Geld anfangen soll. Die Worte Rezession oder steigende Arbeitslosigkeit kommen in dieser Welt nicht vor. Global werden Insurtechs mit Geld überschüttet, obwohl es bislang über viele Jahre niemand geschafft hat, hier mit einer richtig revolutionären Idee eine Erfolgsgeschichte zu schreiben. Zu viel Geld – und zu viel Hoffnung, beim nächsten großen Ding dabei sein zu können.
In späteren Jahren werden kluge Wirtschaftshistoriker über diese verrückten Zeiten sagen, dass jeder das Platzen der Blase hätte kommen sehen müssen. Der große Boom steht nicht nur in China auf tönernen Füßen; die Finanzmärkte haben sich von der realen Wirtschaft in einem Maße abgekoppelt, dass die Aussichten für den nächsten Crash einem nüchternen Beobachter Angst und Schrecken einjagen können. Wer soll in der nächsten Krise diese ins Extreme aufgeblähte Finanzwirtschaft noch retten?
In Deutschland sind mittlerweile auch die Verbraucherschützer auf Börsenkurs. Das ist wohl – kurz bevor Taxifahrer und Fußballprofis sich über Börsentipps austauschen – als ein untrügliches Signal für einen kommenden Absturz der Märkte zu sehen. Angestachelt vom Vorbild der seit vielen Jahren in Zeiten der Hausse äußerst erfolgreichen skandinavischen Staatsfonds propagiert etwa der Verbraucherzentrale Bundesverband eine verpflichtende Extrarente, die in Aktienfonds angespart wird. Wissenschaftler empfehlen gar staatliches Aktieninvestment auf Pump.
Den Lebensversicherern, deren traditionelles Geschäftsmodell durch die Zinskrise zerstört wurde, bleibt nichts übrig, als ebenfalls auf andere Anlagen zu setzen: entweder überwiegend auf Risiko des Kunden, oder unter Nutzung des eigenen Deckungsstockes mit modifizierten Garantien und Anlagechancen, um ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den reinen Fondsanlegern zu behalten.
Was passiert, wenn der nächste große Crash kommt, wird sich zeigen. Das neue Urvertrauen auch der Verbraucherschützer, das langfristig Aktien immer die beste Alternative sind, dürfte einen empfindlichen Dämpfer erhalten. Kunden, die auf Fondspolicen gesetzt haben (mit oder ohne Garantie) dürften sich dann verwundert die Augen reiben, dass „langfristig” auch bedeuten kann, dass es viele Jahre lang nicht mehr aufwärts gilt. Wer darauf vertraut hat, dass ETFs mit dem Aktienindex immer nach oben schwimmen, dürfte sein Finanztest-Musterdepot mit anderen Augen sehen. Wer sein Geld aber in den letzten Jahrzehnten in die vielgescholtene traditionelle Lebensversicherung gesteckt hat, könnte dann feststellen, dass er mit deutlich zusammengeschmolzenen, aber immer noch ansehnlichen Renditen keine ganz so schlechte Wahl getroffen hat.
Kategorisiert in: 20191516 Titelthema Wirtschaftskommentar